Dienstag, 29. Mai 2012

IEEE-Kongress Technology Time Machine: Wir haben keine Glaskugel

"Wir können als Ingenieure sehr präzise die nächsten fünf Jahre vorhersagen, aber die Gesellschaft benötigt eine Prognose für die nächsten 20 Jahre."
"Wir können als Ingenieure sehr präzise die nächsten fünf Jahre vorhersagen, aber die Gesellschaft benötigt eine Prognose für die nächsten 20 Jahre." Vergrößern
Bild: IEEE Am Freitag geht in Dresden der IEEE-Kongress Technology Time Machine zu Ende, auf dem 200 Ingenieure und Wissenschaftler diskutieren, wie sich die Technik in den nächsten 25 Jahren entwickeln kann. Große Visionen blieben Mangelware, das Publikum zog es vor, sich mit den nächsten fünf Jahren zu beschäftigen. Der Veranstalter beschränkte sich in seiner Pressemappe auf naheliegende, einfache Prognosen. "Nach dem Aufstehen und einem auf Ihren individuellen Energieumsatz abgestimmten Frühstück verlassen Sie mit intelligenter Kleidung, deren Eigenschaften durch integrierte Mikrochips an die bestehenden Wetterverhältnisse angepasst sind, das Haus." Weiter ginge es mit einer Verkehrskapsel, sie werde selbstständig das Ziel ansteuern – auch dank intelligenter Verkehrssysteme.

Der Mensch in dieser Zukunft hat Arbeit und fährt von seinem Haus zu seinem Arbeitsplatz, während Dirk Wristers vom Dresdener Chipproduzenten Global Foundries vom "Light out Fab" schwärmte, von der Fabrik ohne Licht, da sie ohne Menschen auskommt. "Wir haben keine Kristallkugel. Wir können als Ingenieure sehr präzise die nächsten fünf Jahre vorhersagen, aber die Gesellschaft benötigt eine Prognose für die nächsten 20 Jahre. Das ist das Problem", meinte Kongressleiter Maurizio Dècina. Die IEEE habe mit dem technological navigator fünf Felder ausgemacht, die die Zukunft bestimmen werden: Smart Grids, Life Sciences, Electric Vehicles, und Cloud Computing.

Das Dilemma der ultimativen Ingenieurskunst kam auch in den Vorträgen zur Sprache. So berichtete Jürgen Häpp vom Architekturbüro Foster + Partner ausführlich von der Zukunftsstadt Masdar, in der der Wasserverbrauch gegenüber Abu Dhabi um 55 Prozent, der Energieverbrauch um 50 Prozent gesenkt werden konnte. Derart beeindruckende Werte müssten jeden (arabischen) Bauherren von sich aus dazu bringen, die von Ingenieuren entwickelten Ideen einzusetzen, doch Abu Dhabi zeigt, dass unverdrossen im "westlichen Stil" weitergebaut wird.

Am Ende blieb es einem Beamten der EU-Kommission überlassen, zumindest auf den Präsentationsfolien Visionen anzudeuten. Franco Accordino, Leiter der Forschungsgruppe "Digital Future" beim Direktorat Gesellschaft und Medien ist mit den Entwicklungen bis 2020 beschäftigt, doch um diese zu verstehen, sei die Perspektive auf 2050 unerlässlich. Dann jedenfalls werde der Transhumanismus von Menschen akzeptiert, die "bio-neuro-cogno-nano"-Konzepte in ihrem Körper verbauen und sich der Unsterblichkeit nähern, zumindest im Beta-Stadium. Der Cyborg werde dann zum natürlichen Partner des genetisch optimierten Menschen, und beide benutzen das Quantum-Internet, das ihre Körper durchdringt.

Abseits dieser Vision wurde das vielleicht eindringlichste Referat des Zukunftskongresses von Roberto Minerva gehalten, der im Zukunftslabor von Telecom Italia forscht. Er machte auf den Missstand im Internet aufmerksam, dass die Internetnutzer nicht Herr ihrer Daten sind, sondern diese Firmen wie Google und Facebook überlassen. Eine für Menschen lebbare Zukunft müsse durch ein First Amendment des Internet abgesichert werden, in dem der zentrale Satz "Daten gehören dem Nutzer" lauten müsse. Erst dann sei ein fairer Interessenausgleich zwischen Firmen, Datenprovidern und Energielieferanten und den Menschen in einer modernen Gesellschaft möglich.

Die nächste Ausgabe der Technology Time Machine soll 2013 im US-amerikanischen Seattle stattfinden. Eine Zusammenfassung aller Zukunftsprognosen im Stil eines "White Paper" soll in Kürze unter ttm.ieee.org veröffentlicht werden.

Vor 50 Jahren wagten sich übrigens Mitglieder der IEEE-Vorläuferorganisation IRE an eine Prognose, wie die Welt im Jahre 2012 aussieht. Sieht man von der Eroberung des Weltraums ab, der 1962 als selbstverständlich eintretendes Ereignis gesehen wurde, lagen die Prognosen relativ gut. In einigen Bereichen stimmen sie sogar mit den Prognosen überein, die in Dresden zum Besten gegeben wurden: Zeitungen werden bald nicht mehr ausgetragen, sondern über ein Kommunikationsnetz zu Lesegeräten verschickt, die "flüssiges Papier" enthalten. Fernsehbildschirme sind wandgroß und zeigen dreidimensionale Sendungen mit Raumklang-Stereophonie. Musik und Film oder Fernsehen wird laser-holografisch gespeichert. Im Workshop mit dem Titel "The Future of Media" tauchten sie wieder auf, die intelligenten Wände. (Detlef Borchers) / (anw)


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