Sonntag, 24. Februar 2013

Kreative Maschinen drängen auf den Markt

Die Fähigkeit zu malen, zu dichten oder zu komponieren galt lange als eines der letzten Unterscheidungsmerkmale zwischen Mensch und Computer. Diese Grenze fällt nun, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 12/2012 (ab heute am Kiosk oder direkt im Heise-Shop erhältlich).

Bereits in den 1960er-Jahren experimentierten Informatiker und Künstler mit malenden, dichtenden und komponierenden Algorithmen. Einer der ersten malenden Roboter, Aaron, programmiert und konstruiert vom Künstler und Informatiker Harold Cohen, hat es 1977 sogar bis in die Kunstausstellung Documenta geschafft. Doch Kritiker sprachen Maschinen wie Aaron keine eigenständige Schöpfungskraft zu. Vielmehr galten die Maschinen selbst als Kunstwerk, „generativer Kunst“, die ihrerseits nur indirekt Kunstwerke hervorbringt.

Welche Fortschritte die Wissenschaft inzwischen gemacht hat, zeigte sich am 2. Juli 2012 : International bekannte klassische Musiker führten zu Ehren des hundertsten Geburtstags von Computerpionier Alan Turing in Málaga ein Konzert auf, das von einem Computer komponiert worden ist. Damit nicht genug: Iamus, benannt nach dem Sohn des griechischen Gottes Apollo, der die Stimme der Vögel verstehen konnte, komponiert so gut, dass selbst das renommierte London Symphony Orchestra sich bereit erklärte, eine CD mit Kompositionen dieses Computers einzuspielen – zum ersten Mal in seiner Geschichte.

Das technische Prinzip von Iamus stammt zwar vom Ende der 1950er-Jahre: Der „Melomic“ genannte Algorithmus von Iamus arbeitet mit Datensätzen, aus denen durch Vererbung und Mutation immer neue „Mels“ entstehen. Bei Iamus entsteht dann durch einen Interpretationsprozess aus den besten Mels zunächst ein kleines Stück konkrete Musik. Eine zweite Softwareschicht setzt daraus, nach programmierten Kompositionsregeln, ein komplettes Musikstück zusammen.

Technische Einzelheiten wollen seine Konstrukteure allerdings nicht verraten. Denn Iamus, das ursprünglich als reines Forschungsprojekt begonnen hat, soll künftig mit der Musikproduktion Geld verdienen. Auf melomics.com, „der weltweit größten Sammlung computerkomponierter Musik“, bietet ein Spin-off der Wissenschaftler maßgeschneiderte Musik zum Joggen, zum Einschlafen oder für die lange Autobahnfahrt, die per Smartphone-App zum Kunden gebracht wird. Musikuntermalung für Computerspiele und für Online-Dienste – melomics will eine offene Programmierschnittstelle bereitstellen, die dafür sorgt, dass Webseiten automatisch die passende Hintergrundmusik bekommen – wird demnächst folgen.

Kann so „echte“ Kreativität entstehen? „Wir versuchen, diese Frage zu vermeiden“, sagt Simon Colton, der mit seiner Arbeitsgruppe am Imperial College London ein malendes Programm namens „Painting Fool“ entwickelt hat. „Die Leute halten ein Programm dann für kreativ, wenn ihnen kein Grund mehr einfällt, ihm die Kreativität abzusprechen“, sagt er.

Auch der „Painting Fool“ hat bereits Geld eingespielt. Nachdem die BBC im vergangenen Jahr eine Dokumentation über die „Suche nach der künstlichen Intelligenz“ ausgestrahlt hatte, konnte Colton sechs Kunstwerke des Programms verkaufen - jeweils für „einige hundert Euro“.

In Zukunft, meint der Wissenschaftler, könnten Programme wie der Painting Fool zumindest die Massen-Nachfrage nach bezahlbarer Kunst befriedigen. „Heutzutage hängt sich jeder die immer gleichen Kunstdrucke in die Wohnung“, sagt Colton. „In Zukunft könnte Software für jeden individuell und für jeden Geschmack einmalige, authentische Kunstwerke erzeugen.

Mehr in der aktuellen Ausgabe von Technology Review:

(wst)

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